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SOZ-Beitritt: Beijings Wohlwollen und Indiens Chance
2017-06-14
 

Indien erhält mit dem Beitritt zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit die Möglichkeit, seine jahrzehntelangen Differenzen mit Pakistan beizulegen und der beanspruchten regionalen Führungsrolle gerecht zu werden.

(Illustration: Liu Rui/GT)

Indien und Pakistan wurden am Freitag auf dem diesjährigen Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in der kasachischen Hauptstadt Astana endgültig als Vollmitglieder aufgenommen.

Innerhalb der internationalen Gemeinschaft ist die Sorge weit verbreitet, dass die beiden historischen Feinde ihre bilateralen Widersprüche in das bedeutende Regionalbündnis mitbringen und dadurch dessen Funktionalität beschädigen könnten.

Diese Sorgen sind berechtigt. Die Südasiatische Vereinigung für regionale Kooperation (SAARC) bleibt infolge des langjährigen Zerwürfnis der beiden Nachbarstaaten gelähmt.

Indien hat sogar in einer gemeinsamen Anstrengung mit den südasiatischen Ländern Thailand und Myanmar die Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation (BIMSTEC) gegründet und dabei Pakistan ausgeklammert.

Indien und Pakistan sind die beiden größten Länder Südasiens. Ihre summierten Landflächen, Bevölkerungszahlen und Wirtschaftsvolumina ergeben mehr als 90 Prozent der jeweiligen Zahlen der Gesamtregion, aber ihre langjährige Dissonanz hat die SAARC aufgehalten.

Dennoch trifft dies nicht auf die SOZ zu. In dieser von China und Russland dominierten Organisation können weder Indien noch Pakistan so eine bedeutende Rolle wie in der SAARC übernehmen. Es wird erwartet, dass sie hinsichtlich der meisten Fragen eine kooperativere Einstellung an den Tag legen und andere Mitgliedsstaaten im Zweifel multilaterale Verträge ohne sie zum Abschluss bringen werden, wodurch ihr internationaler Ruf und die Beziehungen mit anderen Mitgliedstaaten enormen Schaden nehmen würden.

Der Beitritt zur SOZ wird Indiens internationalen Einfluss grundlegend steigern. Mit ihrer strategischen Bedeutung im östlichen Eurasien steigt der Einfluss der Organisation in den Bereichen regionale Sicherheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Um mehr Diskursmacht und Einfluss in eurasischen Angelegenheiten ausüben zu können, ist die Vertretung innerhalb dieser Organisation für das große asiatische Land, das einen Weltmachtstatus anstrebt, daher durchaus erforderlich.

Außerdem reflektiert Neu-Delhis Vollmitgliedschaft die Bedeutung, welche das Land Zentralasien beimisst. Aufgrund der reichlichen Öl- und Erdgasressourcen ist die Region ideal für Indien, das 70 Prozent seines Öls und Gas importieren muss. Im Juli 2015 hat der indische Premierminister Narendra Modi zum ersten Mal offiziell die fünf zentralasiatischen Nationen besucht.

Seine Bestrebungen für einen Ausbau der Beziehungen mit Nationen östlich von Indien „Look East Policy“ hat er um eine Dimension für den Norden erweitert „Look North Policy“ und die Zusammenarbeit zwischen Indien und zentralasiatischen Nationen zu einem Schlüsselelement der Auslandsstrategie des Landes erhoben. Mit dem Beitritt zur SOZ erhält Indien eine Plattform für diese Kooperation.

Gegenüber der SOZ hat Neu-Delhi anfangs eine abwartende Haltung eingenommen und kein großes Interesse für einen Beitritt an den Tag gelegt. Indiens diplomatische Anstrengungen für eine Mitgliedschaft begannen, nachdem Pakistan 2006 einen Beitrittsantrag gestellt hatte.

Um eine bedeutende Position in der SOZ einnehmen zu können, muss Indien seine Beziehungen mit Pakistan verbessern. Zwei Länder - Pakistan und Afghanistan - trennen Indien von Zentralasien. Die afghanische Post-Taliban-Regierung ist Indien freundlich gesinnt. Pakistan bleibt das einzige Hindernis für die Verbindung Indiens mit Zentral- und Westasien. Sowohl die Gaspipeline Iran-Pakistan-Indien als auch das Erdgaspipeline-Projekt Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien durchqueren Pakistan. Deshalb muss Indien Pakistan als Brücke nach Zentralasien betrachten, anstatt Zentralasien und Afghanistan zu verwenden, um es einzudämmen.

Die Reparatur der Beziehungen mit Pakistan wird entscheiden, ob Indien Öl- und Gasressourcen aus Zentralasien sowie dem Iran erhalten kann, was dem ehrgeizigen Land auch dabei helfen würde, seinen internationalen Einfluss auszuweiten.

Indiens Beitritt zur SOZ verdeutlicht Beijings Wohlwollen gegenüber Neu-Delhi. China hat eine offene Haltung zu Indiens Antrag für eine Vollmitgliedschaft in der Organisation eingenommen. Manche vertreten die Ansicht, dass Indiens Mitgliedschaft Konkurrenz und Konfrontation zwischen den beiden großen asiatischen Ländern hervorrufen würde. Sie sind allerdings keineswegs Feinde, und die Aufrechterhaltung eines stabilen Zentralasiens ist im Interesse beider Länder.

Indiens Angebot, sich der Gruppe der Kernmaterial-Lieferländer (NSG) anzuschließen, steht vor einem ähnlichen Dilemma. China widersetzt sich nicht Indiens Mitgliedschaftsgesuch, aber für eine Akzeptanz müssten einschlägige Vorschriften und Regelungen geändert werden, da das Land den Atomwaffensperrvertrag und den Kernwaffenteststopp-Vertrag erst noch unterzeichnen muss. Neu-Delhi sollte diese Rückschläge nicht auf eine Opposition Beijings zurückführen.

Die internationale Gemeinschaft betrachtet Indien mittlerweile als Großmacht. Das Land sollte hinsichtlich seiner Diplomatie reifer werden und vermeiden, mit der Berufung auf technische und verfahrensrechtliche Probleme Barrieren für die Bevölkerungen sowie den akademischen Austausch zu errichten und die grundsätzliche Zusammenarbeit vor Konflikten mit einzelnen Ländern schützen.

Der Verfasser, Long Xingchun, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Charhar-Instituts und Direktor des Center of India Studies an der China West Normal University. 

 
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