Ein Vorschlag der chinesischen Regierung, dass die Menschen länger arbeiten und ihre Renten später beziehen sollen, hat in China zu einer landesweiten Debatte geführt.
Das Ministerium für Personalverwaltung und Soziale Absicherung sagte letzte Woche, dass man gerade ein flexibleres Renten- und Pensionssystem überprüfe. Demnach soll das Pensionsalter angehoben werden, das bei Männern derzeit bei 60 Jahren liegt und bei Frauen bei 50 Jahren.
Das bestehende Rentensystem wurde vor mehr als sechs Jahrzehnten in China eingeführt, als die durchschnittliche Lebenserwartung der Chinesen deutlich geringer war. Die Erhöhung des Rentenalters sei "ein unvermeidlicher Trend", wenn Chinas Wirtschaft wächst und die Menschen länger leben, erklärte das Ministerium.
Analysten meinen, dass der finanzielle Druck und die Tatsache, dass Menschen länger leben, die wichtigsten Gründe für den Vorschlag sind, da eine zunehmende Zahl von Chinesen in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen und auf die Renten zugreifen wird.
Versorgungslücke?
Nach dem bestehenden Rentensystem zahlt jeder Mitarbeiter 8 Prozent seines Gehalts in einen privaten Pensionsfonds, während die Arbeitgeber weitere 20 Prozent auf Privatkonten einzahlen. Mit der Alterung der Bevölkerung fangen immer mehr Chinesen an, ihre Altersversorgung zu überdenken.
Laut einer gemeinsamen Studie der Bank of China (BOC) und der Deutschen Bank würde eine alternde Bevölkerung in China bis zum Jahr 2013 zu einem riesigen Fehlbetrag von 18,3 Billionen Yuan (2.304 Milliarden Euro) in den Pensionsfonds führen. Das würde für das Land eine schwere finanzielle Belastung darstellen. Liao Shuping, ein Prüfer der Forschungsgruppe von BOC sagte, die Defizitprognosen der Pensionskassen würden auf aktuellen Daten des nationalen Statistikbüros basieren. Ohne Änderungen des Rentensystems würde sich die Finanzierungslücke von Jahr zu Jahr vergrößern.
Obwohl die Aussagen über derart große Versorgungslücken in der Pensionskasse kurz darauf von Chinas Regierung dementiert wurden, hat sie unter den chinesischen Bürgern große Sorge ausgelöst.
Fan Jianping, Chefökonom des Staatlichen Informationszentrums bestand darauf, dass das Defizit der Pensionskasse übertrieben sei und sagte, der Fehlbetrag von 18,3 Billionen Yuan sei "zu gruselig, um wahr zu sein." Das Rentendefizit existiere zwar tatsächlich in China, aber die Regierung sei gut gerüstet, um das Problem zu lösen. Fan sagte weiters, dass die Regierung die Renten-Balance mit der großen Zahl von staatlichen Vermögen sowie staatlichen Boni und Dividenden aus staatseigenen Unternehmen ausfüllen könnte, falls erforderlich.
Bis zum Ende des vergangenen Jahres belief sich die gesamte Subvention der Regierung für Pensionen auf 1,25 Billionen Yuan durch den Transfer von Zahlungen der Rentenversicherung.
Einige Wissenschaftler mahnen zur Vorsicht bei der Erhöhung des Rentenalters und sagten, dass eine solche Änderung nicht einfach eingeführt werden solle, nur um die staatlichen Rentensubventionen zu reduzieren. "Das grundlegende Ziel aller Reformen für das Rentensystem sollte sein, die nachhaltige Entwicklung der Fonds zu gewährleisten", sagte Chu Fuling, Direktor des Social Security Research Center bei der Central University of Finance and Economics.
Verlängerung der Lebensdauer
Die Menschen leben im ganzen Land länger und die durchschnittliche Lebenserwartung liegt derzeit bei 73,5 Jahren. Die Gesamtzahl der Arbeitnehmer zwischen 15 und 60 Jahren liegt aktuell bei 920 Millionen, diese Zahl wird laut einer Forschung ab dem Jahr 2013 allmählich schrumpfen.
Die jüngsten Daten zeigen, dass die Zahl der Menschen im Alter von über 60 Jahren Ende 2011 bereits über 185 Millionen erreicht hatte. Die Zahl der über 65-Jährigen wird ebenfalls stark ansteigen, und zwar bis zum Jahr 2050 um 323 Millionen oder mehr als 23 Prozent der Bevölkerung des Landes.
Wenn das Renteneintrittsalter auf 65 angehoben werden sollte, würde sich Chinas Belegschaft um 25 Prozent erhöhen und die Zahl der Rentner würde um 28 Prozent sinken. Dies ergab eine Studie von Zheng Bingwen, Leiter des Social Security Research Center an der Renmin-Universität. Das Rentenalter in den meisten Ländern liegt bei rund 65 Jahren.
Zheng wies darauf hin, dass die Alterung der Bevölkerung großen Druck auf die Sozialversicherung ausübe. "Viele Versicherte tragen heute zu den Renten bei und müssen später noch die Altersversorgung aufbringen. Das ist ein verstecktes Risiko."
Dafür und Dagegen
Einige ältere Bürger unterstützen den Vorschlag der Regierung, darunter die 60-jährige Huang Shujing, eine Expertin für Vorschulerziehung in der zentralchinesischen Provinz Hubei. "Ich bin immer noch in guter körperlicher Verfassung. Es wäre schade für mich, meine Kenntnisse und Erfahrungen aufzugeben", sagte Huang. Sie hatte bei lokalen Behörden die Genehmigung erhalten, nach Erreichen der Altersgrenze weiter zu arbeiten. "Ich glaube, viele meiner weiblichen Kollegen als Lehrer oder Ärzte sind durchaus bereit, auch mit 60 Jahren noch zu arbeiten", sagte sie.
Eine Online-Umfrage der Website der Parteizeitung People’s Daily zeigte jedoch, dass etwa 93,3 Prozent der 450.000 Befragten dagegen waren, das Rentenalter anzuheben.
"Ich bin gegen die Verschiebung des Rentenalters und der Rentenzahlung", sagte Li Hui, eine 47-jährige Rechnungsmanagerin für ein japanisches Unternehmen in Shanghai. "Ich muss ohnehin schon jeden Tag drei Stunden pendeln und verspüre einen riesigen Druck bei der Arbeit. 50 ist meine Grenze", fügte sie hinzu.
Beschäftigung ist ein weiteres Problem, weil die Anhebung des Rentenalters noch mehr Schwierigkeiten für junge Menschen bei der Arbeitssuche verursachen würde.
China schafft derzeit 10 bis 12 Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr, davon etwa 3 bis 4 Millionen offene Stellen durch Pensionierungen.
"Wir haben etwa 100 Millionen unterbeschäftigte Menschen oder Leute ohne Arbeit ", sagte Tang Jun, Generalsekretär des Social Policy Research Center an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaft, "deshalb ist die Beschäftigung weiterhin ein Hauptanliegen für China".
Kritiker argumentieren, dass die Nachteile der Anhebung des Rentenalters noch genauer untersucht werden müssten.